21
Erinnerungen ans Erwachsenwerden
Frau Zirkelbach feierte 1939 ihren 21. Geburtstag, Herr Stucki 1970, Frau Krejcikova 2001. In welchem Jahr sind Sie 21 geworden? Was hat sich in diesem Jahr ereignet? Und – wie sind Sie erwachsen geworden?
Mats Staub nimmt sich viel Zeit, mit Menschen verschiedenen Alters über diese Fragen zu sprechen. Nach drei Monaten besucht er seine Protagonisten erneut: Während er ihnen die von ihm verdichteten Tonaufnahmen vorspielt, filmt er die Reaktionen in den Gesichtern der Zuhörenden. Sie reichen von Schmunzeln über Weinen, Gesten des Stolzes bis zum sichtbaren Nachsinnen über das selbst Gesagte.
Als Videoinstallation porträtiert «21» die Erzählenden als Hörende ihrer eigenen Erinnerung. Es ist ein intimer Moment, dabei zuzusehen, wie Menschen anfangen, über ihr Leben nachzudenken. Sie teilen individuelle Erlebnisse und spannen gleichzeitig einen Bogen über die Generationen.
«21» ist ein Langzeitprojekt und erweitert sich von Ort zu Ort. Mit dieser wachsenden Sammlung von Einzelportraits entsteht eine aussergewöhnliche Galerie des vergangenen und des gegenwärtigen Jahrhunderts.
Bisherige Stationen:
Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm (September 2012)
Hannover, Festival Theaterformen (Juni 2013)
Bern, Museum für Kommunikation (August – Oktober 2013)
Stuttgart, Theater Rampe (November 2013 – Januar 2014)
Zürich, Gessnerallee (März – Mai 2014)
Weimar, Kunstfest Weimar, (August – September 2014)
Basel, Museum der Kulturen, (Oktober 2014 – Mai 2015)
Wien, Wiener Festwochen, (Mai – Juni 2015)
Freiburg, Theater Freiburg, März 2016
Groningen, Noorderzon Festival, August 2016
Credits
Basel, Universität / Kaserne unterwegs,
20. – 28. Oktober 2016
«Verblüffende Momente der unmittelbaren Berührtheit und "Choreografien" der Mimik: Mats Staub, der bereits zweimal bei den Festwochen zu Gast war, erarbeitet mit seinen zahlreichen Projekten eine künstlerische Anthropologie, die so von der Wissenschaft nicht geleistet werden kann. Wiederholte Besuche dieser fabelhaften Arbeit lohnen sich. Garantiert.»
Der Standard, 18.05.2022
«This is the transcendent aspect of the project: it breaks the boundaries of race, class and culture and it allows people who have grown up in disparate parts of the world and sometimes in vastly different circumstances to feel a deep connection with another human being.»
Passagen 1/2015
«Der Künstler unterhält sich jeweils rund eine Stunde lang mit seinem Gegenüber. Im Tonstudio verdichtet er die Aufnahme auf eine Länge von rund acht Minuten. Diese Version spielt er dann dem oder der Befragten vor und filmt sein/ihr Gesicht während des Zuhörens. Diese ausgesprochen raffinierte Kombination aus komponierter Erzählung und Gesichtsausdruck als Reaktion darauf erleben die Besucher in der Videoinstallation. Sie sitzen auf Zweierbänken relativ nah vor dem Monitor, hören über Kopfhörer die Stimme – und fühlen sich, als spräche die Person direkt zu ihnen. Die räumliche Nähe zwischen Erzählenden und Publikum ist insofern stimmig, als alle Porträtierten sehr viel Persönliches von sich preisgeben. (…) In anderen Porträts spielt das Zeitgeschehen eine wichtige Rolle, etwa bei Herrn Meier, dessen 21. Geburtstag just auf den Tag im Jahr 1982 fiel, an dem das Autonome Jugendzentrum Zürich (AJZ) geschlossen wurde – oder bei Frau Krcunovic. Die serbische Schauspielerin beschreibt die Bombardierung Belgrads von 1999 wie eine Komödie, ihr Gesichtsausdruck beim Zuhören lässt jedoch den Schrecken jener Zeit erahnen. Das ist nur einer von vielen Momenten, die einen als Betrachterin so stark berühren, dass man noch lang an diese Videoinstallation denken wird.»
Neue Zürcher Zeitung, 24.03.2022
«Der inhaltlich überwältigenden Inszenierung wohnt ein Zauber inne, der unweigerlich an Harry Potter erinnert. Staub hat ein simples Setting gewählt, fast klassische En-face-Brustbilder vor schwarzem Hintergrund. Nur sind hier die Gesichter nicht in würdevoller Miene erstarrt. Der Raum lebt, aus den unbenutzten Kopfhörern dringen leise die Stimmen der Erzählenden, und auf den Bildschirmen leuchten Gesichter, buchstäblich bewegt – von den Emotionen über die eigene Erzählung. Im Gegensatz zu den Bildern in den Gängen des Zauberschlosses Hogwarts sind es aber zuhörende Gesichter, den Blick oft nach innen gewandt. Ganz unterschiedlich erleben die Protagonisten ihre eigene Erinnerung, die ihnen ab Band vorgespielt wird. Manchmal aufmerksam, aber – zumindest äusserlich – gänzlich unbewegt, manchmal mit einem Schmunzeln über sich selbst vor drei Monaten, vereinzelt auch überwältigt und in Tränen über den Bericht eines schweren Lebens. Am häufigsten aber reagieren die Protagonisten mit zustimmendem Nicken oder bestätigenden Kommentaren. Als wäre es jemand anders, der da die eigene Lebensgeschichte erzählt, eine Geschichte, die man darum auf Richtigkeit prüfen müsste. Und hier beweist Staub auch, wie unzuverlässig das Gedächtnis ist: Man erzählt in Details von einem weit zurückliegenden 21. Lebensjahr und ist später überrascht, was man vor drei Monaten darüber gesagt hat.»
Der Bund, 08.09.2022
«Die Galerie der hörenden Menschen» – Portrait in Publik-Forum
«Man sieht ihnen zu, während sie ihre eigene Geschichte hören und durch Mimik, Gestik, spontane Ausrufe, durch Murmeln oder Lachen oder teilweise auch Weinen kommentieren sie dann das, was sie von ihrem Leben erzählt haben. Das ist faszinierend, einfach weil man auch merkt, in diesem Moment wo sie zuhören was da ihre redigierte Lebensgeschichte ist, fangen sie wirklich an, über den Sinn und die Bedeutung ihres Lebens neu nachzudenken.»
Hessischer Rundfunk, 11.09.2022